Dienstag, 27. August 2019

Die Gewinner sind die Russen: Die Erfolge der russischen Diplomatie im Nahen Osten

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Die politischen Änderungen, die den Nahen Osten seit zwei Monaten verwandeln, sind nicht das Ergebnis der Vernichtung der Protagonisten, sondern die Entwicklung der iranischen, türkischen und emiratischen Standpunkte. Dort, wo die militärische Macht der USA gescheitert ist, war die russische diplomatische Feinheit erfolgreich. Mit der Verweigerung, zu den Verbrechen der Einen und der Anderen Stellung zu nehmen, gelingt es Moskau die Region langsam zu befrieden.
| Damaskus (Syrien)
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Seit fünf Jahre intensiviert Russland seine Bemühungen, das Völkerrecht im Nahen Osten wiederherzustellen. Es stützte sich vor allem auf den Iran und die Türkei, obwohl es deren Denkweise nicht teilt. Die ersten Ergebnisse dieser geduldigen diplomatischen Übung lassen neue Trennungslinien innerhalb mehrerer Konflikte Gestalt annehmen.
Neue Kräfteverhältnisse und ein neues Gleichgewicht richten sich im Niltal, in der Levante und auf der arabischen Halbinsel unauffällig ein. Die Situation im Persischen Golf hat sich stattdessen festgefahren. Diese umfangreiche und koordinierte Änderung betrifft verschiedene Konflikte, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben. Sie ist das Ergebnis der geduldigen und diskreten russischen Diplomatie [1] und, in manchen Fällen, des relativen guten Willens der USA.
Im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten will Russland seine Weltanschauung anderen nicht aufdrängen. Es geht stattdessen von der Kultur seiner Gesprächspartner aus, die es dann im Kontakt durch kleine Anstöße ändert.

Rückgang der kurdischen Dschihadisten und Söldner in Syrien

Alles hat am 3. Juli begonnen: einer der fünf Gründer der PKK, Cemil Bayik, schrieb einen Gastbeitrag in der Washington Post, indem er die Türkei auffordert, Verhandlungen zur Aufhebung der Isolationshaft seines berühmtesten Gefangenen, Abdullah Öcalan [2], zu beginnen. Die Gefängnisbesuche des Führers der kurdischen Separatisten der Türkei, die seit vier Jahren verboten waren, wurden plötzlich wieder erlaubt. Diese Öffnung war ein offenes Geheimnis. Das Gerücht war durch die republikanische Partei des Volkes verbreitet worden, die sie als einen Verrat betrachtete. Bis zu einer Klärung enthielten sich ihre Wähler bei der Kommunalwahl von Istanbul, am 23. Juni, wodurch sie dem Kandidaten des Präsidenten Erdoğan eine schwere Niederlage zufügten.
Zur gleichen Zeit wurden die Kämpfe in der durch Al-Qaida im Norden von Syrien besetzten Zone, der Provinz Idlib, wieder aufgenommen. Dieses islamische Emirat hat keine zentrale Regierung, sondern eine Vielzahl von Distrikten, die verschiedenen kämpfenden Gruppen zugeteilt sind. Die Bevölkerung wird von europäischen "NGOs" ernährt, die mit den Geheimdiensten dieser Länder arbeiten und die Anwesenheit der türkischen Armee hält die Dschihadisten davon ab, zu versuchen, den Rest Syriens zu erobern. Da diese Situation nicht eingestanden werden kann, wird das islamische Emirat Idlib von der NATO-hörigen Presse als ein friedlicher Unterschlupf für die "moderaten Gegner der Assad-Diktatur" ausgegeben. Plötzlich hat Damaskus, unterstützt durch die russische Luftwaffe, begonnen, das Gebiet zurückzuerobern und die türkische Armee hat sich still zurückgezogen. Die Kämpfe sind ausgesprochen mörderisch, vor allem für die Republik. Aber nach mehreren Wochen ist der Fortschritt bemerkenswert, so dass, wenn nichts dazwischen kommt, die Provinz im Oktober befreit werden könnte.
Am 15. Juli, anlässlich des dritten Jahrestages des Mordversuches an Präsident Erdoğan und des improvisierten Staatsstreiches, der darauf folgte, kündigte Präsident Erdoğan die Neudefinition der türkischen Identität an, und zwar nicht auf religiöser, sondern auf einer nationalen Grundlage [3]. Er kündigte auch an, dass seine Armee die PKK-Streitkräfte in Syrien vertreiben und einen Teil der syrischen Flüchtlinge in ein 30 bis 40 Kilometer tiefes Grenzgebiet deportieren werde. Diese Zone entspricht ungefähr jener, in der Präsident Hafez Al-Assad, 1999, den türkischen Kräften erlaubt hatte, kurdisches Artilleriefeuer zu bekämpfen. Nach der Ankündigung, dass das Pentagon seine kurdischen Verbündeten nicht im Stich lassen könne, kamen US-amerikanische Abgesandte nach Ankara, um das Gegenteil zu tun und den türkischen Plan zu genehmigen. Es stellt sich dann heraus, wie wir es immer gesagt haben, dass fast alle Chefs von "Rojava", dieses pseudo-kurdischen autonomen Staates auf syrischen Gebiet, türkischer Nationalität sind. Sie besetzen daher dieses Gebiet, das sie ethnisch gesäubert haben. Ihre Truppen, mit syrischer Staatsangehörigkeit, sandten Boten nach Damaskus, um bei Präsident Baschar Al-Assad um Schutz zu bitten. Wir erinnern daran, dass die Kurden ein nomadisches Volk sind, das zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts sesshaft wurde. Laut der König-Crane-Kommission und der internationalen Konferenz von Sèvres (1920) ist ein Kurdistan nur auf dem aktuellen türkischen Territorium legitim [4].
Es ist unwahrscheinlich, dass Frankreich und Deutschland Syrien erlauben werden, das ganze islamische Emirat Idlib wieder zu erobern und sie ihre Träume von einem Kurdistan aufgeben werden, wo auch immer (in der Türkei, im Iran, im Irak oder in Syrien, aber nicht in Deutschland, wo sie doch eine Million sind). Sie könnten dazu gezwungen sein.
Trotz der aktuellen Diskussion ist es ebenso unwahrscheinlich, dass, wenn Syrien sich auch dezentralisiert, es der Region, die von den türkischen Kurden besetzt wurde, die geringste Autonomie zugesteht.
Nach mehreren Jahren der Sperre, beruht die Befreiung des nördlichen Teils von Syrien ausschließlich auf dem türkischen Paradigmenwechsel, Ergebnis der US-amerikanischen Fehler und der russischen Intelligenz.

De-facto-Teilung des Jemen

Im Jemen unterstützen Saudi-Arabien und Israel Präsident Abdrabbo Mansour Hadi, um die beiderseits der Grenze befindlichen Ölreserven auszubeuten [5]. Letzterer muss dem zaidistischen Aufstand, einem Zweig des Schiismus, die Stirne bieten. Im Laufe der Zeit haben die Saudis Unterstützung von den Emiratis erhalten und der zaidistische Widerstand, den vom Iran. Dieser Krieg, angeheizt durch den Westen, verursacht die schlimmste Hungersnot des 21. Jahrhunderts.
Im Gegensatz zur Organisation der beiden Lager haben die emiratischen Küstenwachen am 1. August doch einen grenzüberschreitenden Kooperationsvertrag mit der iranischen Grenzpolizei unterzeichnet [6]. Am selben Tag ist der von den Emiraten finanzierte Leiter der jemenitischen Miliz (der sogenannte "Übergangsrat des Südens" oder "Sicherheitsgürtel" oder noch "Separatisten"), Abu Al-Yamana Al-Jafei, von der Muslim-Bruderschaft der Islah-Partei, die von Saudi-Arabien finanziert wird, ermordet worden [7].
Offensichtlich ist das Bündnis zwischen zwei Erb-Prinzen von Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten, Mohammed Ben Salman ("MBS") und Mohammed Ben Zayed Al Nahyan ("MBZ") in schlechtem Zustand.
Am 11. August nahm die von den Emiraten unterstützte Miliz, trotz der Saudi-Unterstützung von Präsident Hadi, den Präsidentenpalast und verschiedene Ministerien in Aden im Sturm ein; der Präsident hatte schon seit langem in Riad Zuflucht gefunden. Am nächsten Tag trafen sich "MBS" und "MBZ" in Mekka in Anwesenheit von König Salman. Sie wiesen den Putsch zurück und riefen ihre jeweiligen Truppen zur Ruhe. Am 17. August evakuierten die Pro-Emirat-Truppen ordnungsgemäß den Sitz der Regierung.
Während der Woche, in der die "Separatisten" Aden eingenommen hatten, kontrollierten die Vereinigten Arabischen Emirate de facto die beiden Ufer der strategischen Meerenge Bab El Mandeb, die das Rote Meer mit dem Indischen Ozean verbindet. Da Riyad jetzt seine Ehre gerettet hat, wird es nötig sein, Abu Dhabi eine Gegenleistung zu gewähren.
Auf diesem Schlachtfeld ist die Änderung nur den Emiraten zuzuschreiben, die, nachdem sie einen hohen Preis bezahlt haben, aus diesem aussichtslosen Krieg eine Lehre ziehen. Vorsichtig haben sie sich zuerst den Iranern genähert, bevor sie diesen Warnschuss ihrem mächtigen Verbündeten und Nachbarn Saudi-Arabien senden.

Sesseltanz im Sudan

Im Sudan kam, nachdem Präsident Omar al-Bashir (Dissident der Muslimbruderschaft) durch Demonstrationen der Allianz für die Freiheit und die Veränderung (ALC) gestürzt und die Brotpreiserhöhung zurückgenommen wurde, ein militärischer Übergangsrat an die Macht. Diese soziale Revolte und einige Milliarden Petro-Dollar erlaubten praktisch, ohne Wissen der Demonstranten, die Vormundschaft des Landes von Katar auf eine andere, saudische, zu übertragen [8].
Am 3. Juni wurde eine neue Manifestation der ALC von dem militärischen Übergangsrat im Blut erstickt, wobei 127 Menschen den Tod fanden. Angesichts der internationalen Verurteilung nahm der Militärrat Verhandlungen mit den Zivilisten auf und beschloss eine Vereinbarung am 4. August, die am 17. unterzeichnet wurde. Für einen Zeitraum von 39 Monaten wird das Land durch einen Obersten Rat von 6 Zivilisten und 5 Soldaten regiert werden, deren Identität durch die Vereinbarung nicht geklärt ist. Sie werden durch einen Kongress von 300 ernannten und nicht gewählten Mitgliedern kontrolliert werden, bestehend aus 67 % Vertretern der ALC. Es gibt hier natürlich nichts Demokratisches und keine der Parteien beschwert sich darüber.
Der Ökonom Abdallah Hamdok, ehemaliger Leiter der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Afrika wird Ministerpräsident werden. Er sollte die Aufhebung der Sanktionen erreichen, die den Sudan treffen, und die Rückkehr des Landes in die Afrikanische Union. Er wird den ehemaligen Präsident Omar al-Baschir im Sudan vor ein Gericht stellen, um sicher zu gehen, dass er nicht an den internationalen Strafgerichtshof von Den Haag ausgeliefert werden kann.
Die wirkliche Macht wird durch den "General" Mohammed Hamdan Daglo (genannt "Hemetti") ausgeübt werden, der weder General noch Soldat ist, sondern ein von "MBS" angestellter Milizenführer, um den jemenitischen Widerstand niederzuschlagen. Während dieses Sesseltanzes hat die Türkei - die eine Militärbasis auf der sudanesischen Insel Suakin besitzt, um Saudi-Arabien einzukreisen – nichts gesagt.
In der Tat akzeptiert die Türkei, in Idlib und im Sudan zu verlieren, um gegen die kurdischen pro-US-Söldner zu gewinnen. Allein dieses letztere Ziel ist für sie von entscheidender Bedeutung. Es bedurfte einer Menge Diskussionen, bis sie erkannte, dass sie nicht überall zugleich gewinnen konnte und sie ihre Prioritäten ordnete.

Die Vereinigten Staaten gegen das iranische Erdöl

London und Washington setzen ihren Wettstreit, den sie vor siebzig Jahren begannen, fort, um das iranische Öl zu kontrollieren. Wie zur Zeit von Mohammad Mossadegh, will die britische Krone allein entscheiden, was ihr im Iran gehört [9]. Washington aber will nicht, dass seine Kriege gegen Afghanistan und den Irak Teheran zu Gute kommen (Folge der Rumsfeld/Cebrowski Doktrin) und will die globalen Energiepreise (Pompeo Doktrin) bestimmen [10].
Diese beiden Strategien sind während der Beschlagnahme des iranischen Tankers Grace 1 in den Gewässern der britischen Kolonie von Gibraltar aufeinander geprallt. Der Iran hat seinerseits zwei britische Tanker in der Straße von Hormus geentert, und behauptet – die höchste Beleidigung -, dass einer der beiden "Schmuggel-Öl", also iranisches subventioniertes Erdöl transportierte, das von London auf dem Schwarzmarkt gekauft wurde [11]. Als der neue Premierminister, Boris Johnson, begriff, dass sein Land zu weit gegangen war, sah er zu seiner „Überraschung“, wie die „unabhängige“ Justiz seiner Kolonie, die Grace 1 freistellte. Washington stellte sofort einen erneuten Haftbefehl aus.
Seit dem Beginn dieses Falles zahlen die Europäer für die amerikanische Politik und protestieren ohne große Folgen [12]. Nur die Russen verteidigen nicht ihren iranischen Verbündeten, sondern das Völkerrecht, wie sie es in Bezug auf Syrien gemacht haben [13] was ihnen ermöglicht, eine konsequente politische Linie zu haben.
In dieser Frage beweist der Iran seine sehr große Hartnäckigkeit. Trotz der klerikalen Wende durch die Wahl von Scheich Hassan Rohani im Jahr 2013, orientiert sich das Land wieder in Richtung der nationalen Politik des säkularen Mahmud Ahmadinedschad. [14]. Seine Instrumentalisierung der schiitischen Gemeinden in Saudi Arabien, Bahrain, Irak, im Libanon, in Syrien, im Jemen, könnte sich in eine einfache Unterstützung verwandeln. Auch hier sind es die langen Diskussionen von Astana, die dazu geführt haben, dass das, was für die Einen offensichtlich ist, es auch für die Anderen geworden ist.

Schlussfolgerung

Im Laufe der Zeit werden die Ziele jedes Protagonisten in eine Rangordnung gebracht und ihre Positionen deutlicher.
Im Einklang mit ihrer Tradition versucht die russische Diplomatie, im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten, Grenzen und Bündnisse nicht neu zu schaffen. Sie versucht, die widersprüchlichen Ziele ihrer Partner zu lösen. So hat sie dem ehemaligen Osmanischen Reich und dem ehemaligen Persischen Reich geholfen, sich von ihrer religiösen Definition (die Muslimbruderschaft für den ersten, den Schiismus für den zweiten Partner) zu lösen und zu einer postimperialen nationalen Definition zurückzukehren. Diese Entwicklung ist in der Türkei sehr sichtbar, erfordert aber einen Wechsel der Verantwortlichen im Iran, um sich durchzusetzen. Moskau versucht nicht, "Regime zu ändern", sondern bestimmte Aspekte der Mentalität.
Übersetzung
Horst Frohlich
Korrekturlesen : Werner Leuthäusser